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Angeborene Herzfehler: „Man darf das Lachen nicht verlernen“


Angeborene Herzfehler:
Angeborene Herzfehler: „Man darf das Lachen nicht verlernen“

t-online, Dorothee Schulte

14.03.2011Lesedauer: 5 Min.
Ein kleines Mädchen mit einem schweren angeborenen Herzfehler liegt auf einer Intensivstation.Vergrößern des BildesEin kleines Mädchen mit einem schweren angeborenen Herzfehler liegt auf einer Intensivstation. (Quelle: dpa/dpa-bilder)
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"Wenn du die Diagnose bekommst, fällst du erst einmal in ein tiefes Loch", erzählt eine Mutter, deren Tochter mit einem Herzfehler auf die Welt gekommen ist. Etwa eins von hundert Kindern ist davon betroffen, schätzen Experten. Doch weil sich in den vergangenen Jahrzehnten die Operationsmethoden enorm verbessert haben, ist die Lebenserwartung für diese Kinder stark gestiegen. Der "Verein für herzkranke Kinder und Jugendliche" (Kohki) will Eltern und ihren Familien dabei helfen, nicht den Mut zu verlieren.

Mehr als zwei Jahrzehnte liegt es zurück, dass Sigrid Schröder von dem schweren Herzfehler ihres Sohnes Rüdiger erfahren hat. Ein Arzt hatte ihr auf einen Zettel gemalt, wie ein normales Herz aussieht und welche Veränderungen das Organ ihres Kindes hatte. Rüdiger müsse operiert werden - vielleicht in Amerika, sagte der Mediziner, "aber ob ihr Kind je auch nur eigenständig laufen kann, das wissen wir nicht." Dann brachte eine Krankenschwester ihr Baby und schickte sie beide nach Hause. Auf der Heimfahrt habe sie ständig 'Nicht mit mir!' vor sich hingerufen", erinnert sich Schröder. Als hätte sie das Schicksal dadurch abwenden können.

Rüdiger macht heute eine Ausbildung

Im Lauf der Zeit hat die Familie Schröder gelernt, die Krankheit zu akzeptieren und damit zu leben. Heute ist Sigrid Schröder Vorsitzende des "Vereins für herzkranke Kinder und Jugendliche" (Kohki), der unter anderem in regelmäßigen Abständen Stammtische für betroffene Eltern organisiert. So auch am 11. März in Raunheim. Insgesamt acht Mütter und Väter tauschen an diesem Abend ihre Erfahrungen aus. Die meisten von ihnen haben Kinder, die erst ein paar Jahre alt sind und noch verschiedene Operationen und Krankenhausaufenthalte vor sich haben. Zu erfahren, dass der mittlerweile 21-jährige und 184 Zentimeter große Rüdiger eine Ausbildung zum Erzieher macht und ins Ausland reist - also die gleichen Dinge tut, wie Menschen, die gesund auf die Welt gekommen sind - kann ihnen inmitten ihrer Angst vor der ungewissen Zukunft Hoffnung schenken.

Wie sehr Hoffnung und Angst den Alltag bestimmen, wenn ein herzkrankes Kind geboren wird, ist in der Runde der betroffenen Eltern ständig zu spüren. Doch trotz des ernsten Themas finden die Mütter und Väter immer wieder Anlass, sich gemeinsam an Erinnerungen kleiner Erlebnissen zu freuen, strahlen Mut und Zuversicht aus. "Man darf das Lachen nicht verlernen", sagt Friedbert Samland, der zweite Vorsitzender des Kohki.

Bei Luca fehlt die linke Herzkammer

Samlands Tochter Luca ist mit einem sogenannten "hypoplastischen Linksherzsyndrom" geboren worden. Bei ihr fehlt die linke Herzkammer vollständig. Daher vermischt sich in der einzig vorhandenen Herzkammer sauerstoffreiches Blut aus der Lunge mit sauerstoffarmem Blut aus dem Körper. Die heute fast Vierjährige hat bereits zwei Operationen hinter sich gebracht, eine dritte steht noch bevor. Das Ziel: Die beiden Kreisläufe sollen wieder voneinander getrennt werden, so dass ihr Körper wieder mit sauerstoffreichem statt mit Mischblut versorgt wird. Vorraussetzung für die dritte Operation ist allerdings, dass das Mädchen möglichst mindestens 15 Kilogramm wiege. "Momentan knappern wir an der Grenze zur 13", erzählt Samland.

Licht am Ende des Tunnels

Sein kleines Baby inmitten von Schläuchen und piependen Geräten auf einer Intensivstation zu sehen, ist für die meisten ein Schock. Der Kohki möchte Familien durch die Erfahrung anderer Eltern, die das gleiche durchgemacht haben, helfen. Ein Kind zu sehen, das bereits operiert worden ist und dem es gut geht, kann Mut machen, wenn eine Operation bevorsteht. "Es ist auch ganz wichtig, dass Eltern vorurteilsfrei aufgeklärt werden", berichtet ein Vater von seinen Erfahrungen. Ärzte, die gut über die heutigen Möglichkeiten Bescheid wissen, können den Eltern vermitteln: "Da gibt es Licht am Ende des Tunnels".

Für Samlands Familie war vor allem das erste Jahr sehr belastend: Ein Flugzeugtransport seiner Tochter nach Kiel, er und seine Frau mit frischer Kaiserschnittwunde und Milchpumpe im Auto hinterher. Wieder zuhause wurde seine Tochter mit einem Monitor überwacht, der fast ständig Alarm gab, weil zum Beispiel ein Kabel lose war. Er selbst musste beruflich nach München, seine Frau war fast rund um die Uhr mit Füttern beschäftigt, damit Luca wenigstens ein paar hundert Milliliter Milch am Tag zu sich nahm. An Schlaf war kaum zu denken. Erst nach der zweiten Operation wurde es besser. Aber er hat auch positive Erinnerungen an die vergangenen Jahre: Eine jugendliche Zimmernachbarin im Krankenhaus, die sich liebevoll um seine Tochter kümmerte und ihr immer wieder geduldig den Schnuller in den Mund steckte. Ein Kindergeburtstag, den Eltern und Kinder auf einer Intensivstation gemeinsam feierten. Auch ein anderer Vater sagt: "Es gibt immer wieder Phasen, in denen wir herzhaft lachen können!"

Krankheit nicht ständig zum Lebensinhalt machen

Doch was ist, wenn die Kinder die ersten Operationen überstanden haben, größer werden und selbst Fragen stellen? Vor der zweiten OP habe ihre Tochter gefragt, ob sie mit einer Schere aufgeschnitten werde, erzählt eine Mutter. Ansonsten wolle das Mädchen aber nicht so viel über ihre Krankheit wissen. "Die Kinder lassen das mit einer stoischen Ruhe über sich ergehen", sagt Schröder. Ein Vater ergänzt: "Es ist wahrscheinlich notwendig für sie, bestimmte Dinge auszublenden." Auch die Eltern sollten nicht ständig die Krankheit thematisieren und zum Lebensinhalt machen - sondern die Kinder einfach mal Kinder sein lassen: "Sie wollen sein wie die anderen."

Reha für die ganze Familie wichtig

Wenn ein Kind mit einem Herzfehler geboren wird, dann wirkt sich diese Erkrankung nicht nur auf das Leben des Kindes und seiner Eltern aus, sondern auch auf das der Geschwister. Das hat auch Schröder erfahren: Der heute erwachsene Rüdiger hat zwei ältere Geschwister, seine Schwester sei nach der Geburt des Bruders magersüchtig geworden, "der Bruder musste ganz schnell erwachsen werden."

Der "Bundesverband Herzkranke Kinder" (der Dachverband regionaler Elterninitiativen wie Kohki), setzt sich dafür ein, die sogenannte "familienorientierte Rehabilitation" besser zu etablieren. Hier werden Geschwisterkinder auch mal in den Mittelpunkt gestellt. Väter, die aus beruflichen Gründen oft von zu Hause weg sind, werden intensiver in die Familie integriert. Mütter lernen, einmal abzuschalten und die betroffenen Kinder selbst können in sicherer Umgebung erste Schritte auch mal ohne die Eltern wagen.

Luca möchte einmal Mama werden

Dank enorm verbesserter Therapiemethoden haben Kinder heute eine gute Chance, mit anderen Kindern herumtollen zu können und ein hohes Lebensalter zu erreichen. EMAHs nennen sich die "Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler". Es gibt sie erst seit kurzem. Mit zunehmenden Alter der Betroffenen entstehen aber auch immer neue Fragen: Was ist, wenn sie selbst Eltern werden wollen: Vererbt sich das Risiko, mit einem Herzfehler geboren zu werden? Wie riskant ist eine Schwangerschaft für junge Frauen mit angeborenem Herzfehler? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Eltern für ihr Kind da sein können, bis dieses erwachsen ist? Samlands Tochter Luca ist noch zu jung, um ernsthaft über solche Fragen nachzudenken. Doch wenn sie heute gefragt wird, was sie einmal werden möchte, dann antwortet sie: "Mama".

Niemand weiß, wie lange er leben wird

Welche Lebenserwartung Menschen mit angeborenen Herzfehlern haben, kann heute noch nicht einmal geschätzt beantwortet werden. Denn erstens gibt es noch keine Erfahrungswerte und zweitens ist sowieso jeder Herzfehler individuell verschieden ausgeprägt. Was sagt man also einem heranwachsenden herzkranken Menschen über seine Lebenserwartung? Schröder hat mit ihrem Sohn über dieses Thema gesprochen. Sie sagte ihm: "Ich weiß nicht, wie alt du wirst. Ich weiß aber auch nicht, wie alt ich werde."

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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