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Kann man sich an seine eigene Geburt erinnern?


Kann man sich an seine eigene Geburt erinnern?

t-online, Simone Blaß

Aktualisiert am 17.08.2016Lesedauer: 4 Min.
Gibt es Menschen, die sich an ihre Geburt erinnern können? Forscher sind sich uneinig.Vergrößern des BildesGibt es Menschen, die sich an ihre Geburt erinnern können? Forscher sind sich uneinig. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Es gibt Menschen, die sich unter Hypnose oder bei Meditationen detailreich an ihre eigene Geburt zu erinnern glauben. Alles Humbug, sagen andere. Das menschliche Gehirn sei nicht in der Lage, sich so weit zurückzuerinnern. t-online.de ist dem Phänomen auf den Grund gegangen.

Wie könnte ein Neugeborenes, dessen Sichtfeld gerade mal von der Brust der Mutter bis zu deren Augen reicht, die Farbe und Struktur von Bodenbelägen wahrnehmen, oder sehen, dass der Arzt eine Hornbrille trägt? Dies ist der häufigste Kritikpunkt derer, die Erinnerungen an die eigene Geburt für Fantasie halten. Dass das Gehirn in manchen Dingen unzuverlässig ist, ist bewiesen. Es verändert unsere Erinnerungen dauernd und gaukelt uns vor, Dinge erlebt zu haben, die gar nicht passiert sind.

Früheste Erinnerungen ab dem zweiten Lebensjahr

"Die frühesten, eher vagen autobiografischen Erinnerungen können bis in die Zeit des zweiten bis vierten Lebensjahres zurückreichen", erklärt der Gehirnforscher Ralph Dawirs im Gespräch mit t-online.de. Er sieht für ein Erinnern an eine frühere Zeit keinen entwicklungsbiologischen oder gedächtnisrelevanten Zweck. "Die Entwicklung eines funktionierenden Langzeitgedächtnisses ist an die Entwicklung einer hinreichenden emotionalen Kompetenz gekoppelt." Und die muss sich der Säugling erst im Zusammenspiel mit seinen Bezugspersonen erarbeiten.

Schon Neugeborene sind Persönlichkeiten

Professor Dawirs ist sich sicher: "Neugeborene und Säuglinge empfinden keine Gefühle wie Freude oder Trauer. Sie sind auch noch nicht in der Lage, die Gefühle anderer wahrzunehmen." In diesem Punkt widersprechen Psychotherapeuten vehement.

David Chamberlain ist überzeugt, dass bereits Neugeborene richtige Persönlichkeiten sind - das komplette Gefühlsspektrum eingeschlossen. Der Psychologe und Hypnosetherapeut glaubt, dass man mit den entsprechenden Methoden Zugang zu den Erinnerungen finden kann.

Ein Zufallsfund, der zu jahrzehntelanger Forschung führte

Diese Überzeugung ergab sich aus seiner Arbeit als er Hypnose einsetzte, um dem Ursprung psychischer Probleme auf die Spur zu kommen. "Bei meinen Patienten tauchten immer wieder Erinnerungen an die Geburt auf. Ich hatte nicht gewusst, dass so etwas überhaupt möglich war." Diese Erkenntnis war der Beginn von über 30 Jahren Forschung zum Thema. Hunderte solcher Berichte bannte Chamberlain aufs Band und verglich unter Hypnose die Erinnerungen von Müttern und ihren Kindern.

"In ihren Geburtserinnerungen beschreiben mittlerweile erwachsen gewordene Kinder, was sie während der Wehen erlebten, wie sie von Ärzten und Schwestern behandelt wurden und was ihre Eltern sagten und taten." Chamberlain ist sich bewusst, dass solche Erinnerungen Eltern beunruhigen, andere Wissenschaftler zum Widerspruch anregen und nicht immer erklärt werden können. Doch sie sind belegbar und können nicht wie Drogenerfahrungen oder Träume als Fantasie abgetan werden.

Geburtserinnerungen auf der Spur

Chamberlain gibt in seinem Buch "Woran Babys sich erinnern" zusätzlich zu bedenken, dass Unstimmigkeiten in Berichten von Müttern und Kindern darin begründet sind, dass die zwei Personen im Moment der Geburt individuelle Interessen hatten. "Ein Kind beschreibt vielleicht, wie der Arzt an seinem Hals zerrt und dreht, um ihm hinaus zu helfen, während die Mutter das gar nicht sieht oder sich nichts dabei denkt." Der Therapeut fordert ein Umdenken, was die Geburt an sich betrifft. Der Mensch müsse - vor dem Hintergrund dieses Wissens - ganz anders in unserer Welt aufgenommen werden.

Speicherung von Erinnerung in Zellen

Bruce Lipton, der wohl bekannteste Vertreter der "Neuen Biologie", behauptet, dass jede unserer Zellen durch Erfahrungen gesteuert wird. Er meint, dass sich die Zellen des menschlichen Körpers "erinnern". Daraus resultiert die Vermutung, dass selbst vorgeburtliche Erfahrungen als Körpererinnerung gespeichert werden. Doch hier steckt die Wissenschaft noch in den Kinderschuhen.

Neugeborene erst seit kurzer Zeit im Fokus der Wissenschaft

Was Babys im Mutterleib, bei der Geburt und direkt danach erleben, ist erst in den letzten Jahrzehnten in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses gerückt. "Vielleicht fällt die letzte große wissenschaftliche Schranke, die der vollen Anerkennung von Babys als komplette Persönlichkeiten im Wege steht, wenn wir die Möglichkeit akzeptieren, dass schon bei der Geburt ein komplexes, persönliches Erinnerungsvermögen vorhanden ist", meint Chamberlain.

"Die Berichte der 'Babys', wie sie sich in den ersten Minuten und Stunden 'draußen' fühlten, spiegelten ihre fieberhaften Mitteilungsversuche, die bei Klinikgeburten so häufig sind: das laute Schreien, der Ausdruck von Schmerz im Gesicht, rudernde Ärmchen und Beinchen, ein Zittern und Beben des ganzen Körpers."

Berichte kleiner Kinder werden oft nicht ernst genommen

Chamberlain berichtet, dass Kinder zwischen zwei und drei Jahren, die durch ein Gefühl, ein Erlebnis oder eine Assoziation angeregt werden, so manches Mal mit eindeutigen Erinnerungen an ihre Geburt überrascht haben. Dass sie bei Zangengeburten von Schmerzen am Kopf sprachen oder die Bewegungen nachahmten, die notwendig sind, um den Geburtskanal zu verlassen. "Wie die Kinder selbst sind diese Erinnerungen unschuldig, unvorhersehbar und spontan. Sie stellen ein wichtiges neues Beweismaterial für die Existenz von Geburtserinnerungen dar."

Ohne Ich-Gefühl auch keine Ich-Erinnerung

Dawirs dagegen hält es für vergebliche Mühe, vermeintlich verschütteten sehr frühen Gedächtnisinhalten nachzuspüren. Denn um sich bewusst zu erinnern, benötigt man ein Bild von sich selbst, ein Ich-Bewusstsein. Doch die Fähigkeit, sich selbst zu erkennen, entwickelt sich frühestens ab dem zweiten Lebensjahr. Alles, was vorher passiert, auch im Mutterleib, wird zwar gespeichert und hat, da ist man sich inzwischen einig, auch Auswirkungen auf die Biografie des Menschen.

Es ist aber nicht Teil des autobiografischen Gedächtnisses. Denn ohne Ich-Gefühl auch keine Ich-Erinnerung. "Eine echte autobiographische Erinnerung an die eigene Geburt", so der Professor für Neurobiologie, "kann daher nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft mit Sicherheit ausgeschlossen werden." Wobei die Betonung hier auf "derzeitig" liegt.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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