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Missbrauch: Mutterglück pervers


Familie & Beruf
Missbrauch: Mutterglück pervers

spiegel-online, Julia Jüttner

Aktualisiert am 15.02.2013Lesedauer: 3 Min.
Wenn die heile Familie nur ein Schein ist - Experten schätzen, dass fünfzehn bis zwanzig Prozent der Fälle sexuellen Missbrauchs von Frauen verübt werden.Vergrößern des BildesWenn die heile Familie nur ein Schein ist - Experten schätzen, dass fünfzehn bis zwanzig Prozent der Fälle sexuellen Missbrauchs von Frauen verübt werden. (Quelle: WDR)
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Kindesmissbrauch begehen nur Männer? Ein Klischee. Auch Kindergärtnerinnen, Lehrerinnen und Mütter vergehen sich an Kindern. Die ARD-Doku "Mama, hör auf damit!" schilderte das Schicksal zweier Opfer. Ein Film, der über die Schmerzgrenze geht.

Von der Mutter missbraucht und vom Vater dafür geprügelt

Als Axel seinem Vater anvertraut, dass die Mutter ihn seit Jahren missbraucht, schlägt der Vater den Jungen halb tot. Axel ist damals acht Jahre alt. 40 Jahre später sitzt er auf einem weißen Sofa und gibt Einblick in ein absolutes Tabuthema: Jahrelang hat sich seine Mutter an ihm vergangen, ihn in ihr Bett geholt, ihn zu sexuellen Handlungen an ihr gezwungen.

Andrea hat ein ähnliches Schicksal erlitten. Ihre Mutter ist 17, als sie von einem Besatzungssoldaten schwanger wird. Noch vor der Geburt verlässt der verheiratete Mann Deutschland. Andrea ist ihrem Vater nie begegnet. Für die Nachbarn bleibt sie das Besatzungskind, der Bastard. Ihre Mutter lernt nie wieder einen Mann kennen, die Sehnsucht nach körperlicher Nähe befriedigt sie an ihrer Tochter - bis hin zu sexueller Gewalt.

Mütter als Täterinnen - ein Tabu in der Gesellschaft

Es sind Momente der Qual, der Abscheu, des Hasses. "Es ist so eklig. Und es ist so schwierig, es in Worte zu fassen", sagt Andrea. "Es ist ganz traurig. Boah, mir wird ganz schlecht." Tränen fließen, wenn sie darüber spricht, wie die Mutter sie missbrauchte. Erst in der Pubertät gelingt es Andrea, sich gegen die Übergriffe zur Wehr zu setzen.

In der ARD-Dokumentation "Mama, hör auf damit!" von Stephanie N. Linke sprechen Axel und Andrea zum ersten Mal öffentlich über die Erfahrungen, vom allernächsten Menschen missbraucht zu werden. Entstanden ist ein Film, der gleichermaßen erschüttert und überrascht. Denn in der öffentlichen Aufmerksamkeit sind Frauen eher Opfer sexueller Gewalt - und selten Täterinnen. Doch auch Kindergärtnerinnen, Lehrerinnen oder Babysitterinnen missbrauchen Kinder - und manchmal tun es auch Mütter.

Opfer haben den Missbrauch jahrelang verdrängt

Filmautorin Linke lässt ihren beiden Protagonisten viel Zeit. Ruhig schildern sie die Parallelwelt in der Kindheit, für die sie sich schuldig fühlen und schämen. Damals wie heute. Schmerzhaft explizit beschreiben sie, wie aus mütterlicher Fürsorge und Körperpflege Gewalt wurde. Wie sie das Erlebte verdrängten und wie sie das Verdrängte viele Jahre später einholt, lähmt und zu vernichten droht. Die Regisseurin schont ihre beiden Protagonisten nicht - und die schonen wiederum den Zuschauer nicht. Sie sprechen das Unaussprechliche aus, fassen Schockierendes in Worte, ohne Voyeurismus zu bedienen oder ins Plakative abzugleiten.

Axel: "Das ist so, wie wenn die Mutter das Kind umbringt"

Axel ist das älteste Kind in der Familie, er wächst nach außen hin behütet auf. Seine Eltern engagieren sich in der Dorfgemeinschaft, jeden Sonntag marschiert die komplette Familie in die Kirche, die Mutter singt im Chor. Er beschreibt sie als "klassische Kichererbse", deren Lebensfreude mit jeder weiteren Geburt abnimmt, bis sie in Schwermut versinkt. Und der Vater fremdgeht.

Der Missbrauch steigert sich. "Sie hat mich zerstört", sagt Axel. "Das ist so, wie wenn die Mutter das Kind umbringt." Angst kann Leben zerstören. Diese Erfahrung hat auch Andrea gemacht. Im Film beschreibt sie die Panik, die sie überkam, wenn sie mit ihrer Mutter allein im Badezimmer war. Sie erzählt so detailliert, als lägen die Übergriffe erst Wochen zurück. Tatsächlich ist sie seit zwölf Jahren in therapeutischer Behandlung, doch erst seit einem Jahr hat sie ihre Scham überwunden, der Therapeutin vom Missbrauch berichtet.

Andreas Kraft reicht heute so weit, dass sie ihre Therapeutin von der Schweigepflicht entbindet - für die Dokumentation. Sie und eine andere Expertin ordnen die Vorfälle ein, der Film gewinnt damit noch mehr an Authentizität. Es tut weh, den Opfern zuzuhören.

Die grenzenlose Macht der Eltern

Axels Mutter zwingt ihn mit Schlägen, sie zu befriedigen. "Sie hat also erst mit Prügel gedroht und als ich zwischendurch aufgehört habe, weil ich nicht mehr konnte und nicht mehr wollte, ich habe zum Teil auch richtig das Kotzen gekriegt, das war ihr egal. Ich weiß noch die Szene, ich kann mich erinnern, so wie ich halb im Bett versuche, dem Bett zu entfliehen, und sie holt mich ein und zwingt mich mit Schlägen weiterzumachen."

Die Macht der Eltern ist grenzenlos. Die Mutter droht mit Heim, erinnert sich Andrea. "Und dass sie geht und den Schlüssel fortschmeißt, mich einfach allein lässt." Das sei das Schlimmste gewesen. "Da habe ich lieber das alles über mich ergehen lassen, als dass sie fortgeht und mich dann allein lässt."

Es gehört mit zu den bedrückendsten Botschaften, die dieser Film transportiert: Die Liebe zur Mutter - oder was auch immer es ist - bleibt. Trotz Angst, Ekel und dieser unendlichen Wut.

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