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Schreibschrift: Eine neue Schulschrift soll das Schreiben vereinfachen


Schreiben lernen
Mit Schnörkel oder wie gedruckt? Eine neue Schulschrift soll das Schreiben vereinfachen

t-online, Nicola Wilbrand-Donzelli

Aktualisiert am 13.11.2011Lesedauer: 6 Min.
Lateinische Ausgangsschrift, Vereinfachte Ausgangschrift, Schulausgangsschrift und nun die Grundschrift.Vergrößern des BildesLateinische Ausgangsschrift, Vereinfachte Ausgangschrift, Schulausgangsschrift und nun die Grundschrift. (Quelle: dpa-bilder)
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Schreiben lernt man in der Schule - das wird auch in Zukunft so sein. Doch die Schrift, in der Grundschüler ihre Buchstaben üben, hat sich im Laufe der Jahre immer wieder geändert. Einst war es "Sütterlin", später sogenannte vereinfachte Ausgangsschriften, die auch heute verbindlich sind. Drei Varianten davon werden zurzeit in Deutschland unterrichtet. Eine vierte - die der Druckschrift nachempfundene sogenannte "Grundschrift" - ist seit diesem Schuljahr dazugekommen und wird in einigen Bundesländern auf ihre "Alltagstauglichkeit" getestet. Sie soll, so die Befürworter, den Kindern das Schreiben erleichtern - ohne komplizierte Schnörkel, Schleifen und Verbindungsbögen. Doch Kritiker fürchten bei dieser Reform um den Verfall einer der wichtigsten Kulturtechniken überhaupt. Damit ist eine Kontroverse entbrannt, die seit Monaten die Gemüter von Eltern, Pädagogen und "Schriftgelehrten" erhitzt.

Keine einheitlichen Regelungen in den Bundesländern

Dicht über ihr Schulheft gebeugt versucht Laura in Druckschrift das Wort Hund in großen Druckbuchstaben aufs Papier zu kritzeln und stellt dabei fest, dass es ziemlich anstrengend und schwierig ist, gerade und leserliche Buchstaben zu malen. Doch sie ist stolz, dass ihr "H" und vor allem das komplizierte N mit dem "Hoch-runter-hoch" schön zwischen die Linien passen.

Wie tausende Erstklässler lernt Laura in den ersten Schulwochen die Druckbuchstaben, um so auf Lesetexte in Büchern vorbereitet zu werden. Erst danach wird sie wie alle anderen ABC-Schützen auch langsam an eine der Ausgangsschreibschriften herangeführt und muss sich damit wieder an neue Formen des Alphabets gewöhnen.

Dafür gibt es jedoch in Deutschland keine einheitlichen Lehrpläne. Denn Schulpolitik ist Ländersache. Sechszehn Bundesländer haben 13 verschiedene Regelungen, in denen viel empfohlen, aber wenig festgelegt wird, wenn es darum geht, welche Schreiblernmethode angewendet werden soll. Schon seit jeher streiten sich die Experten, wie Kinder am besten an das Scheiben herangeführt werden können.

Praktiziert werden zurzeit drei etablierte Schreibschriften: die "Lateinische Ausgangsschrift", die 1953 eingeführt wurde, deren 1972 reformierte Variante, die "Vereinfachte Ausgangssachrift" und die "Schulausgangsschrift", die 1968 in der DDR entwickelt wurde. Alle diese Schriften haben gemeinsam, dass die Buchstaben innerhalb eines Wortes miteinander verbunden sind und mehr Schnörkel, Kringel und Bögen vorhanden sind, als bei Drucklettern.

Die neue "Grundschrift" wird im Schulalltag erprobt

Eher schlicht und fast schnörkellos geht es dagegen bei der sogenannten "Grundschrift" zu. Sie wird seit längerem als ökonomische Idealform vom deutschen Grundschulverband propagiert und nun als vierte Schriftart in einigen Bundesländern erprobt. In Hamburg beispielsweise darf seit Beginn des Schuljahres die "Grundschrift" offiziell unterrichtet werden - das Lernen einer verbundenen Handschrift ist dort nun nicht mehr verbindlich vorgeschrieben.

Das heißt, dass jede Grundschule entscheiden kann, welche Schrift sie lehrt. Auch in Baden-Württemberg wird mit der "Grundschrift" geliebäugelt. Hier sind in diesem Schuljahr vom Kultusministerium 16 Schulen zugelassen worden, die in einer vierjährigen Erprobungsphase das Schreibkonzept testen. In Bayern läuft das Experiment seit September an vier Schulen und auch in Nordrhein-Westfalen und Hessen wird das pädagogische Projekt an ausgewählten Schulen unter die Lupe genommen.

Empfehlung des Grundschulverbandes

Für den Grundschulverband ist die Einführung der "Grundschrift" eine sinnvolle didaktische Weiterentwicklung, da die Kinder sich innerhalb weniger Wochen nicht mehr an zwei Schriften gewöhnen müssten. Dies würde den Lernprozess des Schreibens erheblich behindern und oftmals seien die Schüler verwirrt, denn sie könnten nur schwer nachvollziehen, warum sich Lese-Buchstaben von Schreib-Buchstaben unterscheiden.

Die zentrale Idee der Reform ist: Um mehr Formklarheit und bessere Lesbarkeit zu erreichen, wird nur noch eine gerade stehende Druckschrift aus "isolierten" Buchstaben geschrieben, die teilweise nah zusammenrücken und nur noch sehr wenige Verbindungsschwünge haben. Eine kursive Schreibschrift, so der Verband, in der alle Buchstaben eines Wortes verbunden und bestimmte Bewegungsmuster beim Schreiben vorgegeben seien, werde damit überflüssig.

Der mittlerweile pensionierte Chef des Grundschulverbandes, Horst Bartnitzky, wirbt vor allen für die Einfachheit und Funktionalität der Schrift, bei der beispielsweise die Vorgabe der Schreibrichtung beim Gestalten eines Buchstaben und Übungslinien auf dem Papier zweitrangig seien. Gegenüber der "taz" erklärt er: "Kinder entwickeln damit schnell eine flüssige und lesbare Handschrift - die Schrift, die sie in Schule, Ausbildung und Beruf brauchen."

Eigentlich sei es gar keine neue Schrift, sondern "eine mit der Hand geschriebene Druckschrift", so der Pädagoge weiter. Die Schüler könnten diese Schrift jeden Tag in ihrer Lebenswelt sehen - auf Werbetafeln, Alltagsprodukten und auf dem Computer, den viele schon vor der Einschulung beherrschten. Auch die Hamburger Pädagogikprofessorin Mechthild Dehn begrüßt diese Initiative, denn es dürfe keinen Zwang zur Verbindung von Buchstaben geben.

Grundschrift ist einfacher zu lernen

Viele Pädagogen, die gerade die "Grundschrift" unterrichten, sehen die Reform ebenfalls als positiven Impuls, denn das formale Korsett mit seinen detaillierten Regeln zur Strichführung, sei nun weniger eng. Die Hamburger Lehrerin Ursula Priebe Wessel kennt aus dem Schulalltag die praktischen Vorteile für die Kinder, Buchstaben nach dem Motto "Frei und Ungebunden" nun ohne Schleifen und Kringel schreiben zu können.

Die Schrift entlaste und motiviere die Schüler, erklärt sie dem "Hamburger Abendblatt": "Die Schrift ist aus meiner Sicht einfacher zu lernen. Im Prinzip werden die erlernten Druckbuchstaben zu einer Schreibschrift verbunden." Dagegen sei das Lernen der "alten" Ausgangsschriften wie eine motorische Vollbremsung, weil die Schüler zunächst damit beschäftigt seien, die neuen „verschnörkelten“ Buchstaben zu üben und über ihr Schriftbild nachzudenken, so dass andere Faktoren wie etwa die Rechtschreibung oder das Formulieren eigener Geschichten in den Hintergrund gerieten.

Schreibschrift fördert Feinmotorik

Die zahlreichen Kritiker der Initiative argumentieren vor allem mit den Vorzügen der etablierten Schreib- beziehungsweise Ausgangsschriften. Zu ihnen gehört auch die Hamburger Grundschullehrerin Jessica Werk. Sie schätzt die Technik, Buchstaben miteinander zu verbinden, denn Grundschüler sähen so besser, welche Lettern zusammengehörten und ein Wort bildeten. Außerdem befürchtet die Pädagogin, dass sich die Grundschrift zu einer reinen Druckschrift verfestige und Groß-und Kleinschreibung irgendwann nur noch schlecht zu erkennen seien. Und gerade die viel kritisierten Bögen und Schleifen seien es, die die Stiftführung mit klaren, geschmeidigen Bewegungsabläufen richtig in Schwung brächten, so Jessica Werk: "Das verbundene Schreiben schult die Feinmotorik. Erst die Schreibschrift ermöglicht eine Schreibfluss, dagegen ist die Grundschrift abgehackt." Daher spräche auch viel dafür, dass die kursiven Ausgangsschriften die schöneren Varianten seien und sich daraus später eher flüssige und weniger krakelige Handschriften entwickelten.

Fließende Bewegungen beflügeln das Denken

Ähnlich sieht das auch Michael Gomolzig vom Verband Bildung und Erziehung. Er hält nichts davon, die Pädagogik der Vereinfachung zu betreiben. Gegenüber den "Stuttgarter Nachrichten" bemerkt er: "Wir sollten die Schüler optimal fördern und nicht die Hürden so senken, dass das Ziel an den Schwächerein ausgerichtet wird." Eine Handschrift habe etwas mit Ästhetik zu tun und mit der Freude am Schreiben: "Wenn Kinder die lateinische Ausgangsschrift gelernt haben, sieht selbst die Sauklaue Zwölfjähriger noch flüssig aus."

Die Lehrerin und Verlegerin Karin Pfeiffer-Stolz äußerst in einem Artikel der Tageszeitung "taz" sogar ihre Befürchtung, dass körperliche Beschwerden durch das Schreiben in der Grundschrift ausgelöst werden könnten: "Die Druckschrift ist für die Hand ungefähr dasselbe, was der Holzpantoffel für den Fuß ist. Man schreibt nicht mehr fließend. Man druckt sozusagen. Wer kennt das nicht: Beim Schreiben längerer Texte in Druckschrift verkrampfen sich die Finger."

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Für die Germanistin Christina Noack von der Universität Osnabrück sind verbundene Schreibschriften auch deshalb so wichtig, weil sie den natürlichen Gliederungsprozess von Sprache förderten, denn Schreibbewegungen steuerten den Verarbeitungsprozess im Kopf und umgekehrt. Der Rhythmus des Schreibens trage sozusagen den Gedanken.

Sogar Bundesbildungsministerin Annette Schavan outete sich kürzlich als "Grundschrift"-Skeptikerin und plädierte gegenüber bild.de für die etablierten Schrift- Modelle: "Gerade im Zeitalter von PC und iPad ist die Entwicklung einer persönlichen Schreibschrift etwas Kostbares. Kinder möchten gefordert werden, wollen neue Wege erkunden. Gerade für Kinder ist nicht immer gut, was leicht fällt."

Eltern befürchten Wildwuchs der Handschriften

Auch viele Mütter und Väter gehen auf die Barrikaden und sind gegen die Einführung der neuen Schrift. Einer der Wortführer ist der Hamburger Anwalt Walter Scheurl. Durch die wenigen formalen Regeln der "Grundschrift" befürchtet er einen Wildwuchs von eigenwilligen Handschriften schon in der Mittelstufe und eine "Nivellierung nach unten". Gegenüber cicero.de sagt er: "An den weiterführenden Schulen sind Kinder, die nur Druckschrift können, benachteiligt - vor allem, wenn sie lange Aufsätze schreiben müssen." Und den Lehrern wirft er bei dem Thema erzürnt Inkompetenz vor: "Die haben ja noch nicht mal mehr Schreibdidaktik in ihrer Universitätsausbildung."

Interessen-Förderung der Schulmittelindustrie?

Besonders hartnäckige Gegner der neuen Schulschrift vermuten sogar weniger didaktische als vielmehr handfeste wirtschaftliche Interessen der Schulbuch- und Lehrmittelproduzenten hinter der vom Grundschulverband geförderten Initiative.

Diese These vertritt die Münchner Schreibexpertin Ute Andresen in der "taz": "Zu befürchten ist, dass die Hersteller von Materialien für die Schule demnächst die Szene und das Tempo bei der Einführung der Grundschrift beherrschen werden. Sie können damit ja neue zusätzliche Hefte und Materialien verkaufen und womöglich sogar Schulbuchinventar durch Neuanschaffungen ersetzen. Und sie können das Etikett 'Grundschrift' mit ihren Produkten für das Schreiben verbinden."

Förderales Schriftenwirrwarr bleibt vorerst bestehen

Wie der kulturpolitische Disput endet und ob sich die "Grundschrift" irgendwann als Idealform in allen Bundesländern durchsetzen wird, kann sich erst in einigen Jahren zeigen, wenn Kinder, Eltern und Pädagogen weitere Erfahrungen gesammelt haben. Solange bleibt Schulschrift in Deutschland eine geographische Angelegenheit, wobei es passieren kann, dass ein Grundschüler bei einem Schulwechsel selbst innerhalb eines Bundeslandes eine neue Schrift lernen muss - mit Schnörkeln oder ohne.

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