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Tourette-Syndrom: Was passiert dabei im Gehirn – und ist es heilbar?


Symptome und Behandlung
Ist das Tourette-Syndrom heilbar?

Von t-online, sah, lz

Aktualisiert am 07.06.2023Lesedauer: 5 Min.
Ein Kind sitzt im Klassenzimmer: Im Vergleich zu früher schneiden schon Grundschüler immer schlechter ab.Vergrößern des BildesTourette-Syndrom: Meist treten erste Tics bereits im Grundschulalter auf. (Quelle: Marcel Kusch/dpa)
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Das Tourette-Syndrom äußert sich nicht nur durch obszöne und aggressive Äußerungen. Was noch dahinter steckt und wie es sich behandeln lässt.

Das Tourette-Syndrom ist eine neuropsychiatrische Erkrankung. Das heißt, sie betrifft sowohl das Nervensystem als auch die Psyche. Bei dieser sogenannten Tic-Störung leiden Betroffene unter wiederkehrenden motorischen und vokalen Tics.

Von einem motorischen Tic wird gesprochen, wenn es zu spontanen, unkontrollierten und schnellen Muskelbewegungen kommt. Vokale Tics sind unkontrollierbare Lautäußerungen.

Tic vs. Tick

Der Begriff Tic stammt aus dem Französischen und hat mit dem umgangssprachlichen Wort "Ticks" (im Sinne von „jemand tickt nicht ganz richtig“) nichts gemein. Tic steht für ein spezielles neurologisches Symptom.

Tourette-Syndrom: Wann tritt es auf?

Das Tourette-Syndrom kommt Schätzungen zufolge etwa bei einem Prozent der Gesamtbevölkerung vor – und ist damit keine seltene Erkrankung.

Häufig bricht die Krankheit bereits im Grundschulalter aus – meist zwischen dem 6. und 8. Lebensjahr. In 99 Prozent der Fälle beginnen die Tics aber spätestens bis zum 15. Lebensjahr. Dabei seien insgesamt mehr Jungen als Mädchen vom Tourette-Syndrom betroffen, wie die Tourette-Gesellschaft t-online mitteilt.

Zu Beginn der Erkrankung treten zunächst nur motorische Störungen auf, bevor später auch das Sprachzentrum betroffen ist. Von einem Tourette-Syndrom wird aber erst gesprochen, wenn die Symptome mehrfach am Tag, fast jeden Tag oder immer wieder über einen Zeitraum von einem Jahr auftreten.

Welche Tics kommen beim Tourette-Syndrom vor?

Die Tics des Tourette-Syndroms umfassen keinesfalls nur das Herausbrüllen von Schimpfworten, worauf das Tourette-Syndrom in der Öffentlichkeit oft beschränkt wird. Fachleute unterscheiden zwischen motorischen und vokalen Tics sowie "einfachen Tics" – bei denen nur wenige Muskelgruppen betroffen sind – und "komplexen Tics".

Motorische Tics

Einfache motorische Tics treten häufig im Bereich von Gesicht und Kopf auf und äußern sich beispielsweise durch:

  • Augenblinzeln
  • Augenrollen
  • Stirnrunzeln
  • Naserümpfen
  • Mundzuckungen
  • Kopfrucken oder -werfen
  • Schulterzucken
  • Grimassenschneiden

Komplexe motorische Tics können folgende Auswirkungen haben:

  • Springen
  • In die Hocke gehen
  • Fußstampfen
  • Berühren anderer Leute oder Gegenstände
  • Nachahmung der Bewegung anderer
  • Zurechtzupfen der Kleidung
  • Schnüffelndes Riechen
  • Wildes Grimassenschneiden
  • Zeigen obszöner Gesten
  • Körperverdrehungen
  • Selbstverletzendes Verhalten, wie den eigenen Körper schlagen, kneifen, Kopf anschlagen

Vokale Tics

Einfache vokale Tics sind zum Beispiel:

  • Räuspern
  • Fiepen
  • Quieken
  • Grunzen
  • Zungenschnalzen
  • Nachahmung von Vogelstimmen oder anderen Tiergeräuschen

Komplexe vokale Tics äußern sich beispielsweise durch:

  • Herausschleudern von Worten oder kurzen Sätzen, die nicht im logischen Zusammenhang mit dem Gesprächsthema stehen
  • Ausstoßen sinnloser, beschimpfender oder obszöner Worte (Koprolalie)
  • Wiederholung von Lauten beziehungsweise Wortfetzen, die gerade gehört wurden (Echolalie)
  • Wiederholung von gerade selbst gesprochenen Worten (Palilalie)

So laufen die Tics ab

Das Tourette-Syndrom tritt bei Betroffenen in unterschiedlich starken Ausprägungen auf. In seiner extremsten Form können Erkrankte obszöne Gesten mit Beschimpfungen von sich geben, die das Umfeld befremden. Allerdings sind sie unwillkürlich, nicht steuerbar und damit nicht korrigierbar. Warum es sich dabei oft um Beleidigungen und Obszönitäten handelt, konnten Mediziner bisher nicht feststellen.

Manchmal gelingt es Betroffenen, die Tics zeitlich hinauszuzögern. Das führt in der Regel aber dazu, dass der Drang zur Ausübung der Tics noch stärker wird und ist in etwa vergleichbar mit einem Schluckauf oder dem Reflex zu niesen. Im weiteren Verlauf der Krankheit können die Beschwerden zu- oder abnehmen oder sogar für mehrere Monate ganz verschwinden.

Vor allem Ärger, Stress, innere Anspannung, aber auch Freude können dafür verantwortlich sein, dass die Tics vermehrt auftreten. Selbst im Schlaf können Tics auftreten, sie sind in der Regel jedoch weniger ausgeprägt.

Was sind die Ursachen von Tourette?

Auch wenn in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte in der Erforschung des Tourette-Syndroms erzielt wurden, ist seine genaue Ursache nach wie vor nicht vollständig geklärt. Allerdings gilt eine erbliche Komponente als Grund für die Erkrankung als sehr wahrscheinlich – auch wenn der entsprechende Gendefekt bisher nicht gefunden wurde.

Familien- und Zwillingsstudien weisen jedoch darauf hin, dass erbliche Faktoren beim Tourette-Syndrom eine große Rolle spielen. So haben Betroffene oft Familienmitglieder, die ebenso an der Störung leiden.

Zudem wird angenommen, dass bei Erkrankten bestimmte Vorgänge im Gehirnstoffwechsel gestört sind. Das legen Untersuchungen nahe, die zeigen, dass sich die Hirnströme von Menschen mit Tourette-Syndrom von denen gesunder Menschen unterscheiden. Betroffen sind dabei die sogenannten Basalganglien – eine Region im Gehirn, die an der Bewegungskoordination beteiligt ist. Auch eine Beteiligung des Botenstoffs Dopamin wird vermutet.

Diagnose von Tourette

Um das Tourette-Syndrom zu diagnostizieren, gibt es bislang keine Labortests. Stattdessen werden die entsprechenden Symptome beobachtet und der bisherige Verlauf der Krankheit genau untersucht. Mittels weiterer Verfahren, wie beispielsweise einem Elektroenzephalogramm (Hirnstrombild), können andere neuropsychiatrische Erkrankungen als Ursache für die Tics ausgeschlossen werden.

Es sollte zudem geprüft werden, ob neben den Tics auch andere psychiatrische Erkrankungen bestehen – etwa eine Zwangsstörung, ADHS oder Depression. Denn diese führen oft zu einer weitaus stärkeren Beeinträchtigung der Lebensqualität und sollten somit ebenfalls behandelt werden.

Wie lässt sich das Tourette-Syndrom behandeln?

Das Tourette-Syndrom ist bisher nicht heilbar. Jedoch lassen sich viele Tics mithilfe einer gezielten Behandlung lindern. Die Art der Therapie kann sich an der Ausprägung der Symptome orientieren. Leidet der Betroffene etwa nur unter leichten Tics und unter keinen sozialen Konsequenzen, ist nicht immer eine Therapie notwendig.

Aufklärung mindert Leidensdruck

Oftmals bringt schon die Aufklärung der Betroffenen und ihrer Angehörigen über die Diagnose "Tourette" eine enorme Erleichterung. Gerade bei Kindern kommt in diesem Zusammenhang der Aufklärung der Lehrer eine wichtige Bedeutung zu.

Verhaltenstherapie

Bei mittelschweren Symptomen sind vor allem Psycho- und Verhaltenstherapien sinnvoll. Hierbei geht es darum, Stressreaktionen zu mindern, da diese oft die Tics auslösen oder verstärken. Eine Psychotherapie kann zudem bei begleitenden Problemen wie ADHS, Zwangsstörungen, Depressionen oder Angstzuständen helfen.

Bestenfalls lernen die Patienten mit einem sogenannten Habit Reversal Training (Deutsch: Gewohnheits-Umkehr-Training), besonders unangenehme Tics durch weniger belastende zu ersetzen. Auch Entspannungstraining kann helfen.

Hirnstimulation

Bei schweren Tics, die auf andere Behandlungen nicht ansprechen, kann zudem eine Tiefenhirnstimulation hilfreich sein. Dabei werden Kerngebiete des Gehirns elektrisch stimuliert, die für die Koordination von Bewegungen zuständig sind. Nebenwirkungen der Behandlung sind oft nur temporär, können aber zu kurzzeitigen Sprach- und Gefühlsstörungen führen.

Allerdings wirkt auch die Hirnstimulation nur symptomatisch und kann die Erkrankung nicht heilen und auch einer Verschlimmerung nicht entgegenwirken.

Medikamentöse Therapie

Sind die Tics sehr ausgeprägt und der Betroffene leidet schwer darunter, kann eine medikamentöse Behandlung der richtige Weg sein. Dabei werden Medikamente wie beispielsweise Neuroleptika eingesetzt, die die Wirkung von Dopamin beeinflussen und so Tic-reduzierend wirken sollen. Auch Botox-Injektionen zur Entspannung betroffener Muskelpartien oder Antidepressiva können unter Umständen eingesetzt werden.

Tourette-Syndrom bei Kindern

Kinder bemerken ihre Tics anfangs oftmals gar nicht selbst. Meist sind es die Eltern, die sich Sorgen um ihre Kinder und deren merkwürdiges Verhalten machen. Aber gerade wenn das Tourette-Syndrom in der Kindheit oder Jugend ausbricht, stehen die Chancen relativ gut, dass sich die Symptome bessern, wenn nicht sogar ganz verschwinden. Meist verstärken sich die Tics zwar während der Pubertät, lassen zwischen dem 16. und 26. Lebensjahr aber wieder nach.

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Die geistige Leistungsfähigkeit von Tourette-Patienten ist nicht beeinträchtigt, jedoch führen die zahlreichen Tics fast unumgänglich zu Schwierigkeiten beim Lernen in der Schule oder im späteren Berufsleben.

Da das Umfeld der Betroffenen für gewöhnlich nicht über die Krankheit informiert ist, fallen die Reaktionen oft genervt, erschrocken, verständnislos oder empört aus – speziell dann, wenn ein Unwissender von einer Person mit Tourette-Syndrom beleidigt wird. Dadurch kann es schnell zu Ausgrenzungen und Zurückweisungen kommen.

Wie Eltern mit dem Tourette-Syndrom umgehen sollten

Eltern betroffener Kinder und Teenager müssen sich bewusst sein, dass ihr Kind keine Kontrolle über seine Tics hat. Es ist zwecklos, das Kind zu ermahnen, wenn es wieder mal zuckt, bellt oder mit Schimpfwörtern um sich wirft. Stattdessen sollten Eltern dem Kind das Gefühl vermitteln, dass es mit seiner Störung geliebt wird.

Es ist deshalb sinnvoll, den Tics im alltäglichen Umgang so wenig Beachtung wie möglich zu schenken. Auch wenn das nicht immer möglich sein wird, denn Kinder mit Tic-Störungen werden oft von Mitschülern ausgelacht, gehänselt und beschimpft. Das sind schreckliche Erfahrungen, die ein Kind am ehesten mit Unterstützung der Eltern verarbeiten kann.

Eltern sollten mit ihrem Kind über die Erlebnisse reden und auch darüber, wie es am besten auf solches Verhalten von anderen reagiert. Auch ein Gespräch mit dem Lehrer oder mit Eltern von Schulkameraden kann womöglich dazu beitragen, dass dem Kind künftig mehr Verständnis entgegengebracht wird.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • tourette-gesellschaft.de: "Was ist das Tourette-Syndrom?". (Stand: Juni 2023)
  • gesundheit.gv.at: "Ticstörungen & Tourette-Syndrom". (Stand: Oktober 2022)
  • mayoclinic.org: "Tourette syndrome". (Stand: August 2018; englisch)
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